Europa sieht Deutschland 2005

Die baltische Perspektive

Festvortrag zum Tag der Deutschen Einheit
mit

Dr. Mart Laar
Ehem. Ministerpräsident von Estland, Tallinn

Gesprächsleitung
Prof. Dr. Jörg Glombowski, Universität Osnabrück


Mit der Ausrufung der Unabhängigkeit durch das estnische Parlament im August 1991, der Anerkennung dieses Beschlusses durch die Sowjetunion sowie der Aufnahme in die UNO wenig später öffnete sich für das ördlichste der drei baltischen Länder die Tür nach Westeuropa und in die Welt. Mit großen Energien und Erwartungen machten sich die Esten an den Neuaufbau von Staat und Gesellschaft, dabei skeptisch beobachtet von den im Land lebenden Russen. Mit Hilfe ausländischer Investitionen sollte auch die Wirtschaftsentwicklung schnell die politische Neuorientierung bestätigen. Bald war von den »europäischen Tigerstaaten« im Baltikum die Rede. Seit Mai 2004 ist Estland Mitglied der Europäischen Gemeinschaft. Der Unabhängigkeit voraus gingen spannungsreiche Auseinandersetzungen mit Moskau, wo unter Gorbatschow mit Glasnost und Perestrojka ein einmaliger Prozess politischer Liberalisierung eingeleitet wurde. Die militärische Besatzung Estlands im Zweiten Weltkrieg durch Deutschland scheint heute zu einer historischen Episode geronnen zu sein, über die nicht mehr gestritten werden muss. Demgegenüber wirkt die vierzigjährige Zugehörigkeit zur Sowjetunion fort und macht das Verhältnis zum östlichen Nachbarn weiterhin problematisch. So ist jüngst die Ratifizierung eines Grenzabkommens zwischen Russland und Estland im russischen Parlament gescheitert. Wie sehen das Land und seine Bewohner heute das seit 15 Jahren wiedervereinigte Deutschland?

Mart Laar
Ministerpräsident Estlands 1992-1994 und 1999-2002, Historiker und Pädagoge – Geboren 1960 in Viljandi/Estland, Studium an der Universität von Tartu, danach tätig als Lehrer, Parlamentarier und im estnischen Kulturministerium als Leiter einer Abteilung für historisches Gedenken. Als estnischer Premierminister begann Mart Laar 1992 radikale und marktorientierte Reformen, die seinem Land ein respektables Wirtschaftswachstum bescherten. Der »Vater des estnischen Wirtschaftswunders « erhielt verschiedene Auszeichnungen. Heute ist er Abgeordneter des estnischen Parlaments Riigikogu (Reichstag) und Mitglied der Beratungsgruppe für Technologien der Informationsgesellschaft der EU-Kommission. Mart Laar ist Autor mehrerer Bücher über Geschichte und Politik Estlands.

3. Oktober 2005, 11 Uhr, Rathaus